Auf Gewaltfreiheit ist der Islam nicht ausgerichtet, der Koran empfiehlt den Einsatz von gewalttätigen Mitteln in bestimmten Situationen.
und zur Toleranz
Toleranz hat im Islam keine Basis. Was immer heute als Toleranz angeführt wird, etwa, dass man die Andersgläubigen, sofern sie sich zu einer Buchreligion bekennen, leben lässt, ist keine Toleranz. Denn diese der islamischen Herrschaft Unterstehenden sind in vielerlei Hinsicht gegenüber den Muslimen von minderem Recht. Sie haben zum Beispiel kein Recht, eine Waffe zu tragen – im Dialog mit den Andersgläubigen wird dann gesagt, sie brauchen keinen Kriegsdienst zu leisten...
bis zur Antwort auf die Frage, was er am Koran sympathisch finde:
Was ich sympathisch finde – wenn man von der Theorie weggeht, der Koran sei Gotteswort –, ist die zum Teil erstaunliche Offenheit, in der Mohammed sich und seine Interessen darstellt und sich damit selbst entblößt.
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Islamwissenschaftler Nagel: "Islamophobie zulassen"
15.11.2009 | 19:02 | ANNE-CATHERINE SIMON (Die Presse)
Der Professor für Arabistik und Islamwissenschaft Tilman Nagel erklärt im Interview mit der "Presse", warum Mohammed wirklich gelebt hat und das Verbot von "Islamophobie" die Menschenrechte pervertiert.
„Die Presse“: Die westlichen Islam-Debatten kreisen immer wieder um zwei Begriffe: Friedfertigkeit und Toleranz. Besteht die Möglichkeit, den Islam als friedfertige Religion zu interpretieren?
Tilman Nagel: Auf Gewaltfreiheit ist der Islam nicht ausgerichtet, der Koran empfiehlt den Einsatz von gewalttätigen Mitteln in bestimmten Situationen. Die Standardabschwächung dieses Vorwurfs ist heute, dass der Islam immer nur Verteidigungskriege geführt habe, auch bei der Ausdehnung bis nach Andalusien, weil die Aufforderung, das Christentum anzunehmen, einen Affront gegen Allah darstelle. Als außerhalb des Islams Stehender kann man das natürlich nicht annehmen.
Wie kommt es zur Unterteilung der Welt in Gläubige und das „Haus des Krieges“?
Nagel: Das ist noch keine koranische Unterscheidung, sondern wächst erst an der Wende zum achten Jahrhundert heran, als schon große Teile erobert sind. Da versucht man, die Eroberung auch mit juristisch relevanten Begriffen zu fassen. So kommt man zu dieser Unterscheidung, weil man sagt, im Haus des Krieges können die Riten nicht unter einer islamischen Obrigkeit vollzogen werden – was bedeutet das in Bezug auf das Jenseitsheil? Ohnehin besteht in den populären Verlautbarungen über den Islam große Unsicherheit darüber, welche Begriffe aus der frühen Zeit stammen, und was sich erst danach entwickelt hat, auch Muslime selbst wissen in der Regel nicht Bescheid. Manche elementare Dinge finden sich nur im Hadith – zum Beispiel, dass der Glaube im Wesentlichen durch die fünf Säulen (i.e. Glaubensbekenntnis, Gebet, Almosensteuer, Fasten und Pilgerfahrt, Anm. d. Red.) definiert wird. Im Koran wird der Glaube ganz anders definiert, als kämpferische Gläubigkeit.
Praktisch alle muslimischen Gelehrten lehnen eine historisch-kritische Auslegung des Islams ab. Kann der Islam trotzdem in eine säkulare Gesellschaft integriert werden?
Nagel: Ich glaube, eine säkulare Gesellschaft hat als wesentliches Element die Historisierung der Religionen. Es kann keine Säkularität geben in einer Gesellschaft, in der ein Teil sagt, wir beharren darauf, dass unsere universale Wahrheit überall gelten muss. Das ist ein Widerspruch in sich.
Ist Toleranz, die ja ein Begriff der westlichen Aufklärung ist, mit dem Islam vereinbar?
Nagel: Toleranz hat im Islam keine Basis. Was immer heute als Toleranz angeführt wird, etwa, dass man die Andersgläubigen, sofern sie sich zu einer Buchreligion bekennen, leben lässt, ist keine Toleranz. Denn diese der islamischen Herrschaft Unterstehenden sind in vielerlei Hinsicht gegenüber den Muslimen von minderem Recht. Sie haben zum Beispiel kein Recht, eine Waffe zu tragen – im Dialog mit den Andersgläubigen wird dann gesagt, sie brauchen keinen Kriegsdienst zu leisten...
Lieber als Toleranz scheint Muslimen in Diskussionen ohnehin das Wort „Respekt“ zu sein – wobei viele diesen Respekt gegenüber der eigenen Religion in Europa vermissen.
Nagel: Ich kann Menschen respektieren – aber hier wird die Respektierung eines religiös begründeten Gedankengebäudes gefordert, das selbst massiv den Anspruch auf universale Geltung erhebt. Ein weiterer Begriff in diesem Zusammenhang ist die „Islamophobie“. Der europäische Menschenrechtsbeirat hat sie schon als verwerflich gebrandmarkt, und der UN-Menschenrechtsbeirat greift das zum Teil auf. Ich halte das für falsch – die Menschenrechte beziehen sich auf den Menschen, nicht auf das, was er glaubt. Islamophobie muss erlaubt sein, man kann nicht eine Meinung oder Glaubenshaltung unter Schutz stellen. Das ist eine bedenkliche Umdefinierung der Menschenrechte.
Die Rolle des Islams in Europa hat sich, seit Sie zu studieren begonnen haben, sehr verändert. Inwieweit hat die westliche Islamwissenschaft auf die politischen Entwicklungen reagiert?
Nagel: Als ich anfing zu studieren, war das ein mediävistisch ausgerichtetes Fach. Heute haben wir mehr akademische Stellen, vor allem aber eine fast vollkommene Verlagerung des Schwerpunktes auf das 20.Jahrhundert. Für eine Kultur wie die islamische, die sich in ihren Äußerungen immer wieder auf die Vergangenheit bezieht oder sich aus ihr rechtfertigt, ist das eine Fehlentwicklung. Die Islamwissenschaft in Deutschland ist vielfach nur noch eine auf die arabische Welt oder die Türkei bezogene Politologie.
Manche Wissenschaftler in Europa bezweifeln, dass Mohammed wirklich gelebt hat, Sie sind überzeugt, dass er existiert hat – warum?
Nagel: Zum einen, weil der Koran, wenn man ihn genau liest, die religiöse innere Entwicklung einer Figur sehr stimmig darstellt. Wenn man eine religiöse Stiftungsurkunde erfinden will, würde man etwas nehmen, das keine inneren Widersprüche hat. Außerdem sind die Argumente für die Nichtexistenz Mohammeds meines Erachtens nicht stichhaltig. Beispielsweise wird gesagt, da müsste man materielle Belege aus seiner Zeit haben – ja das haben wir für Platon auch nicht!
Welche deutsche Koran-Übersetzung würden Sie unseren Lesern empfehlen?
Nagel: Von den Hadithen gibt es keine guten Übersetzungen. Was den Koran angeht – die weitverbreitete Übersetzung von Rudi Paret würde ich nicht nehmen, sie ist für Menschen, die Arabisch können. Wer den Koran einfach lesen will, nimmt am besten die uralte Übersetzung von Henning, die bei Reclam erschienen ist. Bei den neuen muss man aufpassen, da werden zum Teil Dinge hineingelegt, die nicht drinstehen. Ich habe einmal eine saudiarabische Übersetzung ins Englische gelesen, und bei einer Sure, in der die Frauen aufgefordert werden, sich züchtig zu kleiden, standen lange Anmerkungen darüber, was das genau bedeutet.
Gibt es etwas, was Ihnen am Koran besonders sympathisch ist?
Nagel: Ich muss gestehen, ich habe nie darüber nachgedacht, was mir am Koran gefallen könnte. Was ich sympathisch finde – wenn man von der Theorie weggeht, der Koran sei Gotteswort –, ist die zum Teil erstaunliche Offenheit, in der Mohammed sich und seine Interessen darstellt und sich damit selbst entblößt.
ZUR PERSON
Tilman Nagel ist emeritierter Professor für Arabistik und Islamwissenschaft an der Universität in Göttingen und gilt als einer der besten deutschsprachigen Kenner der arabischen Schriften. 2008 erschien seine als „Jahrhundertwerk“ gerühmte Mohammed-Biografie „Mohammed. Leben und Legende“. Vergangene Woche referierte er in Wien beim Symposion „Biographie und Religion“, veranstaltet vom „Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Theorie der Biographie“. [Mirjam Reither]
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2009)