Donnerstag, 19. November 2009

Märchenstunde mit Ursi

Eine Professorin der Philosophie hat einen Artikel geschrieben mit dem Titel
Der Schlüssel zur Aufklärung liegt im Islam

.. und sie macht damit den Gebrüdern Grimm Konkurrenz.

Ich empfehle die Lektüre, und anschliessend die Lektüre des untenstehenden Kommentars. Ich habe versucht, mich kurz zu halten, aber das war schwierig, bei all dem Material, das die Frau hineingepackt hat.

Der Artikel: klickmich

Der Kommmentar:

Bahnbrechend im Artikel von Ursula Pia Jauch dürfte sein, dass Averroes / Ibn Rushd Griechisch oder Latein beherrschte - das hat die Welt bis heute nicht gewusst (1). Der Rest des Artikels ist mit der gleichen Sachkenntnis abgefasst. Toleranz, Wissenschaft, Technik, alles islamische Spezialitäten. Schauen wir mal.

Die Toleranz im Maurischen Spanien zeigte sich zum Beispiel darin, dass die Bücher von Ibn Rushd verbrannt wurden. Oder daran, dass sich auch Christen beschneiden lassen mussten (1). Toll.

Aristoteles wurde entgegen der Aussage im Artikel nicht verboten, der gilt in der Kirche als Vorausahnender von Christus und hat den Status eines Rock-Stars, aber es wurden im Mittelalter mal etwa 160 Themen zu diskutieren verboten, und kein Professor oder Student an der Sorbonne scherte sich darum, so dass die Liste nach ein Paar Jahrzehnten klammheimlich gestrichen wurde. Weiter - und das ist zentral - war Aristoteles die Basis des Triviums, also der Ausbildung, die sich seit Boethius dank der Kirche über Europa ausbreitete.

So gab es einen Sog, ein Bedürfnis nach mehr Wissen, und so erklärt sich auch, warum auf dem Mont Saint-Michel Aristoteles weitgehend übersetzt war, noch bevor Averroes in die Windeln machte: Jakobus Venetianus war eigens nach Byzanz gereist, um sich mit den griechischen Originalen vertraut zu machen. Ja, nach Byzanz, man kann das in der Philosophiegeschichte von Byzanz nachlesen. Mit Byzanz war der Kontakt nie abgebrochen, und dort gab's Bibliotheken, und die Kenntnis des Aristoteles, wie auch in Süditalien, das damals noch byzantinisch war (und wo Willem von Moerbeke später verfeinerte Übersetzungen anfertigte). Wer jetzt Gerardus Cremonensis erwähnen will - der hat die Kommentare des Averroes übersetzt (und weiter den Almagest, aber letzterer war bereits in Sizilien aus dem Griechischen übersetzt gewesen). Ein Detail: In Süditalien wurde noch lange Griechisch gesprochen, die letzte Zeitung in griechischer Sprache ging etwa 1980 ein.

Averroes wurde übrigens durchaus als Kommentator geschätzt in Europa, sogar hochgeschätzt, im Gegensatz zum arabischen Raum, wo er erst heute wahrgenommen wird. Aber die Aufklärung hat mehr damit zu tun, dass Europa die Denk- und Diskussionsmethoden der Scholastik entwickelte.

Es ist ja auch saukomisch, dass der Islam die Voraussetzung für die Aufklärung sein sollte und selber hinter das zurückfiel, was er an Wissenschaft und Technik in seinem Herrschaftsbereich vorfand.

Dass die Zahlen und die Null aus Indien stammen, muss man wohl keinem mehr erklären, aber es ist sicher erwähnenswert, dass sie in der christlichen Welt erstmals von Severus Sebokht beschrieben wurden, einem Bischof in Syrien im 7. Jh. - und Bischöfe haben die Eigenschaft, Christen zu sein.

Mit der Technik ist es ebenso, abgesehen von der Optik: Das Astrolabium war von den Griechen erfunden worden, noch vor unserer Zeitrechnung, und der Mechanismus von Antikythera, ein mechanischer Computer aus der Zeit vor unserer Zeitrechnung, zeigt, wo die Technik stand, als der Islam noch nicht einmal existierte.

Auch in der Chemie gibt es ein hübsches Beispiel: Das Griechische Feuer. Das brennt auch unter Wasser, und die Byzantiner haben damit eine islamische Flotte nach der anderen abgefackelt, aber während all der Jahrhunderte haben die hochgenialen islamischen Chemiker nicht herausgefunden, was zum Scheitan das war.

Für die Autorin des Artikels hat Boethius einen klassischen Satz parat:
Si tacuisses, philosophus mansisses.

Hättest du geschwiegen, wärst du Philosoph geblieben.

Und auf sowas fällt der Tagi rein.



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(1) Siedler Geschichte Europas
 

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